Dienstag, 30. Januar 2007

Der Sessel

Ist dieser Stuhl frei? Egal ob dies ein drehender, schwenkender, wippender, klappbarer, faltbarer, höhenverstellbarer, aufblasbarer, bequemer, oder einunsichtbarer, ist, wir nehmen Platz.
Doch der Platz ist nicht irgendeiner, es ist ein materielles Produkt, zumeist industriell gefertigt, dass es dem Subjekt gestattet, sein Eigengewicht gleichmäßig darauf zu verteilen um nur die Fußsolen am Boden zu haben, das Gesäß, ja nach Norm, jedoch erhöht. Die Kontrolle über diese Gerätschaft wird schon ziemlich früh angelernt. Kinder versuchen sich dies vor allem in der Schule anzueignen, indem sie sich bemühen, nicht die gesamte Konstruktion mit dem Eigengewicht zu belasten, sondern nur einen gewissen Teil davon. Dies wird allgemein als ‚Sessel- schaukeln’ verstanden und ist in dieser Institution nur bedingt gerne gesehen. Um diesen Trieb dennoch Rechnung tragen zu können, wurde wohl auf einzelnen Spielplätzen die ‚Sesselschaukel’ installiert, die allerdings den Nachteil besitzen, dem Experiment von der Schule nur bedingt Folge zu leisten. Wer in der Kindheit nicht genug Gelegenheit zum Sesselschaukeln hatte, kann sich später immer noch einen Schaukelstuhl zulegen.
Wir haben es also nicht mit einfach ‚Sesseln’ zu tun mit sondern Sitzgelegenheiten die eine gewissen Funktion erfüllen. Schaukel ist eine Funktion, oder das hoher Sitzen ist etwa, das früher nur staatstragenden Frauen und Männern zu teil wurde. Erinnern wir uns an die Szene in Charly Chaplins ‚Großen Diktator’ der unbedingt höher sitzen wollte als Mussolini. Bürosesseln mit Lift haben dieses Problem heute etwas erleichtert.
Aber es gibt auch gewisse Sesseln denen diese Funktion eingeschrieben wird. Klappsesseln etwa. Platz sparend werden sie in Nischen verstaut oder als Dekorationselemente an Wände gehängt. Sie erlauben der BesitzerIn flexibel mit dieser Sitzgelegenheit umzugehen. Genauso flexibel wie das Produkt als Staubfänger oder Sesseln fungieren kann.
Der Sessel, als kulturelles Produkt, der Mythos des Sitzens und seinen Gelegenheiten, sollte hier seinen Platz finden. In diesem Sinne nehmen wir den Stuhl gerne an.

Montag, 29. Januar 2007

Sesseltanz


Beim Sesseltanz (sprichwörtlich: "Reise nach Jerusalem") werden scheinbar alle Regeln des kultivierten Sitzens aufgehoben. Gleichzeitig handelt es sich um eine kreative und gleichzeitig auch sehr traditionsreiche soziale Praxis, die Stühle ins Zentrum der Betrachtung (und natürlich der Begierde) rückt. Vom Kind bis zum Erwachsenen verspricht der musikalisch untermalte Kampf um den Sessel ausgelassene Heiterkeit für alle Beteiligten. Ergo ist das ein spannendes Betätigungsfeld für Armchair-Anthropologen.


(Foto: Sesseltanz zum Faschingsfest 2006/07 Feistritzer Schule)



Youtube bietet uns ein ganzes Forschungs-Universum an Kurzfilmen zu diesem brisanten Thema.

Zum Beispiel hier: Die Roten Husaren gewinnen ihre erste Reise nach Jerusalem beim Schützenfest Morken-Harff 2006

Sitzen wird nicht nur in diesem Beispiel, sondern auch im Alltag wegen der Bequemlichkeit als Privileg gehandhabt. Außerdem gebietet es oft die Höflichkeit, sich nur nach Aufforderung zu setzen oder einem höher gestellten Gast einen Sitzplatz anzubieten. Auf Wikipedia heißt es des Weiteren: "Eine besondere Bedeutung kommt dem Sitzen in der Symbolik von Herrschaft und Dienst zu: Der Herrschende sitzt, während der Dienende zum Stehen verpflichtet ist. Der Thron eines Herrschers ist als Sitzmöbel gestaltet, meist erhöht, damit der Herrscher auch in sitzender Stellung die Untergebenen überragt. Auch sprachlich drückt „Sitzen“ oft das Innehaben einer Machtposition aus."

Beim Sesseltanz erleben diese -dem Sitzen offenbar innewohnenden- Prinzipien von Macht (und gleichzeitig auch Höflichkeit) eine radikale Demokratisierung. Alle Teilnehmer sind grundsätzlich gleichberechtigt. Alleine auf die Agilität und den Grad der Motivation der Beteiligten kommt es an. Drängeln und Schubsen sobald die Musik unterbrochen wird, sind in bestimmten Grenzen erlaubt und auch gefordert. Ein vorher bestimmter Schiedsrichter erleichtert angemessene Sanktionsfindungen. Beim Endkampf kann es Ausschreitungen geben, wie auch das Video-Beispiel zeigt.

Unklar bleibt derweil, inwieweit es vielleicht noch eine Rolle für den Sesseltanz spielt, ob erwachsene Probanden bereits vorher"einen sitzen" haben..

Freitag, 26. Januar 2007

Platznahme

Sitzen ist der liminale Status des Bewegungsapparats, eingenommen zwischen dem Gehen und dem Liegen, unentschieden zwischen horizontaler und vertikaler Position und immer in einer bestimmten Form auf etwas gerichtet – und wenn nicht auf etwas dann mindestens gegen etwas. Aber in jedem Fall ist das Setzen ein Bezug von Position und ebenso ein Einverständnis mit dem Platz der uns angeboten, und ein Zugeständnis an die Perspektive, die uns zugewiesen wurde, auf den jeweiligen Raum der unser Blickfeld sein soll oder kann oder muss. Das Niederlassen auf einem durch ein Möbelstück markierten Platz im Raum kann nur eine, zumindest temporäre, Identifikation mit dem Zweck des Sitzapparats sein, denn jeder Sitzplatz hat einen gewissen Zweck, und das ist in jedem Fall eine gerichtete Beruhigung des eben noch bewegten Menschen. Lasst uns nächstes Mal im Seminar eine Niedersetzdoku machen!

Mittwoch, 24. Januar 2007

Ich bin also sitze ich...

...auf einem Sessel, einem Stuhl oder einer Couch, oder gar am WC.
Wer erfand die Toilette zum sitzen? ist es dadurch wirklich praktischer?
Überlege... der Aufenthalt wird wesentlich verlängert, der Zeitverlust ist massiver, und es ist doch genau die Zeit die uns so fehlt in unserer Gesellschaft! Wozu also setzen um mein Geschäft zu verrichten? Geburten sind ja auch einfacher im Stehen...

Ich sitze also bin ich

Irgendein Anfang muss gemacht werden also schreibe ich mal munter drauf los.


Möbelstücken sind Aufforderungen zu ihrer Benutzung eingeschrieben. Danke an den Kollegen Stefan, der uns im Seminar "Mythen des Alltags" darauf aufmerksam gemacht hat. Sitzen ist so selbstverständlich, dass es aus der Wahrnehmung ja beinahe ausgeklammert wird. Widmen wir uns also diesem scheinbar vernachlässigten Lebensbereich. Lasst uns über unsere Sitzgewohnheiten und Stühle und Couchen und Mulitfunktionssessel reflektieren. Wortschöpfungen sind erwünscht. Zur kreativen Nutzung von Gebrauchsmöbeln ist aufgerufen! Lasst uns aktiv sitzen. Lasst uns Sit-Ins veranstalten oder lasst uns unserem Sitzen eine kollektive, politische und poetische Komponente hinzufügen. "Sessays" sollen unseren ausformulierten oder illustrierten Gedanken, Beobachtungen und Recherchen rund und über das Sitzen künftig einen Platz anbieten. Ob Vielsitzer oder Erst-sitzling, sitz-süchtig oder be-sitzlos: Sitzen macht nicht nur glücklich sondern regt auch zum Nachdenken an- über Design, kulturelle Sitzgewohnheiten, Haltungsschäden, Geschichte, Sprache und Hierarchien. Wir müssen das Sitzen deshalb nicht zur Kunst erheben oder den Sessel zur Ikone werden lassen, aber wir können die "Armchair-Anthropologie" um ihren zentralsten und dennoch so marginalisierten Ausgangspunkt erweitern.
Wer rastet, rostet nicht. Wir Anthropologen von der Wiener-Sitzfraktion sitzen standhaft!