Samstag, 3. Februar 2007

Sensibilisierung für ´s Sitzen

Die Wahrnehmung auf irgendetwas zu fixieren- und zwar ganz egal auf was- verändert das Bewußtsein. So geschehen bei einem Spaziergang durch die Wiener Innenstadt vor ein paar Tagen. (Ja, auch Armchair Anthropologen gehen ab und zu raus). Unwillkürlich wandert mein Auge anders als früher über sitzende Menschen, Bänke und Stühle. Zum Beispiel in den öffentlichen Verkehrsmitteln: Wenn man selbst stehen muss während andere sitzen dürfen, kommt es mitunter zu etwas, dass wir vielleicht als Platzneid bezeichnen können. Und auch hier werden wir natürlich wieder an die Gebote der Höflichkeit und auch der Hierarchie erinnert, die dem Sitzen ganz selbstverständlich zugeschrieben sind.

(Foto by Platzhirsch)

Bestimmten Menschengruppen gilt es laut dieser symbolischen Anweisung den Sitzplatz zu überlassen. Ebendiesen gegenüber würde ja auch kaum jemand Platzneid empfinden. Es bleibt jedenfalls dem in der überfüllten Straßenbahn sitzenden Individuum überlassen, zu entscheiden ob Menschen, die sich symbolisch nicht so einfach darstellen lassen (wie zum Beispiel ein eben entlassener Schubhäftling kurz nach dem Hungerstreik, ein nach Fusel stinkender Karlsplatzbewohner, oder etwa ein Klimaflüchtling) einen Sitzplatz verdienen. Dafür müssten auch erst eigene Sticker und Symbole entworfen werden (Wie wärs, Platzhalter?). Diese Randgruppen sitzen aber sowieso eher woanders als in den Wiener-Vekehrsmitteln, nämlich im Knast oder in Wartesälen, in Auffanglagern, Ruderbooten oder einfach auf der Straße.

(Foto made by Platzhirsch, paid by Stuhler)

Ein ganz anderer emotionaler Aspekt, der weniger mitleiderregend ist, ist die sitz-anthropologische Schadenfreude (Etwa im Falle von Furzkissen oder anderen Fettnäpfchen, in die man sich setzen kann). Obwohl Armchair-Anthropologen zutiefst moralische Wesen sind, gibt es womöglich doch eine hohe Dunkelziffer an Mitgliedern, die Bananenschalenausrutscher insgeheim lustig finden). Auch hier kommt die Hierarchie ins Spiel. Der durch ein spontanes Ungleichgewicht ausgelöste Ausrutscher und das folgende durch die Schwerkraft erzwungene Sitzen wird von Beobachtern besonders genussvoll wahrgenommen, wenn es sich z.B um eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens handelt. Diese wird dabei buchstäblich erniedrigt.

Man kann allerdings auch mit dem einfachen Fußvolk Spaß am Sitzen haben- und zwar fast ohne Schadenfreude und ganz ohne Platzneid. Es ist erstaunlich, wie viele Fotos wir in wenigen Minuten am Rathausplatz von am Eis sitzenden, mitunter überaus fröhlichen Menschen geknipst haben. Nota Bene: Nachdem hier keine Sessel zum Einsatz kommen gilt die Definition von Platzhalter über das Sitzen hier nur sehr bedingt.


Foto by Platzhirsch: "Wiener Eistraum"



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